Im Landkreis Bautzen sind immer wenigerKinder und Jugendliche von der sozialen Mindestsicherung abhängig. Doch Sozialarbeiter sagen, die Lage armutsbelasteter Familien habe sich verschlechtert.Deutscher Caritasverband / Harald Oppitz, KNA
Ein Artikel von David Berndt
Bautzen. Zumindest auf dem Papier lesen sich die Zahlen zur Kinderarmut wie ein Erfolg. Ende 2020 - aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor - lag der Landkreis Bautzen im Vergleich mit allen anderen Kreisen in Sachsen sowie den Großstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz jeweils auf Platz zwei; hatte also die zweitniedrigste Zahl. Dabei ging es um die Anzahl der Unter-15- und der Unter-18-Jährigen, die in Relation zur gesamten Altersgruppe Leistungen der sozialen Mindestsicherung beziehen. Eine Abgeordnete der AfD hatte danach vor Kurzem im sächsischen Landtag gefragt.
Mit 6,8 Prozent mag der Kreis Bautzen im Sachsenvergleich gut dastehen, aber immerhin waren laut dieser Statistik 3.300 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren davon betroffen. Sächsische.de erklärt, was diese Zahlen bedeuten und wie Experten sie einordnen.
Was bedeutet Mindestsicherung bei Kindern?
Zur Mindestsicherung gehören unter anderem Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) wie Arbeitslosengeld II (ALG II) oder Sozialgeld. Regelleistungen nach dem Asylbewerbergesetz für Kleidung, Nahrung oder Unterkunft zählen ebenso zur Mindestsicherung.
Zum 1. Januar dieses Jahres wurden die Sätze für ALG II oder Sozialhilfe erhöht. Monatlich erhalten Kinder bis zum Alter von fünf Jahren 285 Euro, von sechs bis 13 Jahren 311 Euro und Jugendliche von 14 bis 17 Jahren 376 Euro.
Wie viele Kinder leben aktuell von Mindestsicherung?
Das lässt sich nicht genau sagen, da es diverse soziale Leistungen gibt, die auch miteinander kombiniert werden können. Das Landratsamt Bautzen teilt auf Anfrage von Sächsische.de mit, dass im März dieses Jahres 2.154 Unter-15-Jährige im Kreis Bautzen Leistungen aus nach dem SGB II bezogen haben. Diese Zahl ist seit Jahren rückläufig. Im Januar 2017 etwa waren es noch 4.701.
In Deutschland werde durch unterschiedliche Hilfen Kinderarmut entgegengewirkt, erklärt das Landratsamt. Es gebe Kindergeld oder Mehrbedarf, den Alleinerziehende beantragen können. Hinzu kommen der Sozialpass und das Bildungspaket, "über das zum Beispiel kostenfreie Lernförderung, kostenfreie Mittagsverpflegung in Kita und Schule oder auch Schulausflüge und Freizeitangebote möglich gemacht werden."
Seit dem 1. Juli dieses Jahres gibt es 20 Euro pro Monat zusätzlich, die mit den Sozialleistungen ausgezahlt werden. Sie sollen eine Übergangslösung sein, bis die geplante Kindergrundsicherung eingeführt wird. Sie soll alle Leistungen für Kinder zusammenführen und die Antragstellung deutlich vereinfachen. Der Gesetzentwurf soll 2023 kommen.
Warum hat sich die Lage bei der Kinderarmut verbessert?
Das Sozialministerium Sachsen verzeichnet nicht nur für den Kreis Bautzen, sondern für den gesamten Freistaat einen Rückgang der Mindestsicherung bei den Unter-15-Jährigen - von 17,3 Prozent im Jahr 2010 auf 11,2 Prozent im Jahr 2020. Das habe vor allem mit den sinkenden Arbeitslosenquoten zu tun.
In der Oberlausitz zeigt sich das allein in diesem Jahr Monat für Monat. Im Januar gab die Agentur für Arbeit die Zahl der Arbeitslosen noch mit knapp 18.000 und einer Quote von 6,5 Prozent an. Im Juni waren es nicht mal 16.300. Die Arbeitslosenquote lag im Juni 2022 bei 5,9.
Was sagen Experten zur Kinderarmut im Kreis Bautzen?
Sozialarbeiterin und -pädagogin Manja Döcke vom Caritasverband Oberlausitz aus Bautzen stellt der Statistik ihre und die Erfahrungen aus verschiedenen Beratungsgebieten ihrer Kollegen - zum Beispiel der sozialpädagogischen Familienhilfe oder der Begleitenden Elternschaft - gegenüber und zeichnet ein anderes Bild als die Statistik. Die Situation von armutsbelasteten Familien habe sich demnach vielmehr verschlechtert.
Während der Corona-bedingten Schulschließungen hätten Eltern mehr Geld für die Essensversorgung zu Hause bezahlt. In Kita oder Schule wäre das über Bildungs- und Teilhabeleistungen gefördert worden. "Eltern gingen in Kurzarbeit, was das Einkommen deutlich belastet hat und zu einer zusätzlichen Beantragung von Sozialleistungen führte. Hinzu kommen jetzt deutlich gestiegene Lebensmittelpreise und auch der Anstieg der Energie- und Wohnnebenkosten", führt Manja Döcke aus. Gerade Alleinerziehende und Familien seien davon stark betroffen und kämen in finanzielle Notlagen.
Dazu müssen die Betroffenen bei der Beantragung von Leistungen mit langen Wartezeiten leben. In Bautzen etwa ist die Wohngeldstelle im Moment nur donnerstags geöffnet. Die Stadt begründet das damit, dass derzeit zu viele Anträge von zu wenig Personal bearbeitet werden müssen. Auch die Beantragung der Kita-Gebühren durch das Jugendamt dauere im Moment länger als gewohnt. Doch dieses Geld fehlt den Familien.
Aus Sicht der Sozialarbeiterin wären eine schnellere Bearbeitung von Anträgen, mehr bezahlbarer Wohnraum für Familien und eine sozialrechtliche Reaktion auf die gestiegenen Lebenshaltungskosten notwendig. "Die bestehenden Regelsätze sind in diesen Zeiten oft nicht ausreichend", so Manja Döcke.
(Quelle: Artikel aus der Sächsischen Zeitung vom 11.07.2022)