Ungeimpfte Pflegekräfte können vielerorts weiterarbeitenDeutscher Caritasverband / Julia Steinbrecht, KNA
Von Doreen Reinhard, Dresden
Noch im Frühjahr hatte Dana Hocker Angst um ihren Job. Seit über 20 Jahren arbeitet die 44-Jährige in der Pflege, schon lange ist sie bei einer Sozialstation des Caritasverbands Oberlausitz angestellt. Sie organisiert Hausbesuche bei Pflegebedürftigen, ab und zu fährt sie selbst zu Patienten. Eigentlich ist es unvorstellbar für sie, ihren Beruf aufzugeben. "Ich will unbedingt weiterarbeiten, ich mache das sehr gern", sagt sie.
Doch Dana Hocker ist nicht geimpft. Sie fürchte sich vor Nebenwirkungen, sagt sie. Einmal war sie mit Corona infiziert. "Es lief bei mir glimpflich ab, mit leichten Symptomen." Inzwischen hat sie keinen Genesenenstatus mehr. Auch als die Impfpflicht im Gesundheitswesen eingeführt wurde, blieb sie bei ihrer Entscheidung gegen die Impfung. Obwohl sie Sorgen hatte, vielleicht bald ohne Einkommen dazustehen. Dana Hocker ist alleinerziehend. "Ich muss alles allein bewältigen. Ohne den Job wäre es schwierig", sagt sie.
Vor drei Monaten hat Dana Hocker Post vom Gesundheitsamt bekommen. Sie sollte erklären, warum sie sich nicht impfen lässt. Auf zwei Seiten habe sie sich "alles von der Seele geschrieben", erzählt sie. Sie habe auch von ihren Zweifeln berichtet. Dass sie beobachtet, dass sich auch geimpfte Kollegen mit Corona infizieren. Und dass sie nicht glaubt, dass sie als Ungeimpfte ein größeres Risiko für ihre Klienten darstellt. Den Brief hat sie per Einschreiben ans Gesundheitsamt geschickt, aber bis heute keine Antwort erhalten. Dana Hocker weiß nicht, ob überhaupt noch eine Reaktion kommt. Ob doch noch ein Bußgeld oder ein Betretungsverbot angeordnet wird und sie nicht mehr in der Pflege arbeiten kann. Im Moment hat sie das Gefühl, "dass sich die Sache mit der Impfpflicht beruhigt hat" und ihr keine akute Gefahr droht.
"Wir können uns das fehlende Personal nicht leisten"
Kontrovers diskutiert wurde die einrichtungsbezogene Impfpflicht von Anfang an. Befürworter argumentierten, das Personal im Gesundheitswesen sollte durchgeimpft sein, um vulnerable Gruppen vor Ansteckungen zu schützen. Andere bemängelten, damit werde Verantwortung auf eine Berufsgruppe abgewälzt. Schon früh gab es Zweifel, ob das Ende 2021 beschlossene Gesetz überhaupt konsequent umgesetzt wird.
Im Sommer 2022 sieht es an vielen Orten in Deutschland nicht danach aus. Die Corona-Zahlen steigen, doch über das Impfen wird viel weniger gesprochen als noch im vergangenen Herbst: Die allgemeine Impfpflicht ist im Bundestag gescheitert, und die Impfpflicht für Pflegeberufe scheint - wie der Fall von Dana Hocker zeigt - nicht konsequent umgesetzt zu werden. Von vielen Behörden wird das aufwendige Verfahren nur schleppend angegangen. In den meisten Bundesländern, das ergaben Stichproben-Analysen von ZEIT ONLINE, wurden offenbar bisher keine oder nur vereinzelte Bußgelder und Betretungsverbote für Ungeimpfte angeordnet. Stattdessen wird Kritik an der Impfpflicht lauter, zum Beispiel in Thüringen und Sachsen.
Die einrichtungsbezogene Impfpflicht muss ausgesetzt werden: Wir können uns das fehlende Personal in der jetzigen Situation nicht leisten", forderten Anfang Juli die obersten medizinischen Vertreter Thüringens in einem gemeinsamen Statement. Die Impfpflicht sei zunächst "eine vernünftige, begrüßenswerte Entscheidung" gewesen, heißt es, doch in der Praxis sehe man inzwischen mehr Probleme. Die Impfpflicht führe "zu unnötigem Druck" im Gesundheitswesen, benachteilige Mitarbeiter und "hat personelle Probleme in ohnehin vom Fachkräftemangel geprägten Berufsfeldern zur Folge". Angeschlossen haben sich dem Schreiben unter anderem die Vorsitzenden der Thüringer Landesärztekammer, der Landeskrankenhausgesellschaft und des Universitätsklinikums Jena. Man habe in den Einrichtungen "gute Maßnahmen", um Mitarbeiter und Patienten vor Infektionen zu schützen. Statt eine sektorale Impfpflicht durchzusetzen, sollten Impflücken in der Bevölkerung geschlossen und wieder über eine allgemeine Impfpflicht diskutiert werden.
Der Landrat will kein Berufsverbot aussprechen
Widerstand gegen die Impfpflicht im Gesundheitswesen gibt es schon lange. Am lautesten waren zunächst die Milieus, die dem rechtsextremen Lager und der Querdenker-Szene nahestehen. In vielen Orten gibt es seit dem Herbst Demonstrationen, bei denen Protest gegen die Corona-Maßnahmen und gegen die Impfpflicht Kernthema ist. Dort werden auch Verschwörungsideologien und Fake News zu Impfungen verbreitet.
Einige Kommunalpolitiker haben bei solchen Versammlungen gesprochen und wurden dafür scharf kritisiert. Zum Beispiel der Bautzner CDU-Politiker Udo Witschas, inzwischen zum Landrat gewählt, der im Januar Schlagzeilen machte, weil er bei einer Demo angekündigt hatte, dass sein Landkreis das Gesetz nicht durchsetzen werde. "Wenn Sie mich danach fragen, was das Gesundheitsamt machen wird, ab dem 16.3., dann werden wir, unser Gesundheitsamt, unseren Mitarbeitern im Landkreis Bautzen in der Pflege und im medizinischen Bereich kein Berufsverbot aussprechen", sagte Witschas damals und wurde von den Demonstranten bejubelt.
In den Monaten danach wurde in Sachsen immer offensichtlicher, dass die Impfpflicht schwer in die Gänge kommt. In einigen Kommunen wirkt es gar, als würde man das Verfahren verschleppen. In anderen hat es den Anschein, als würde man das Gesetz ignorieren. Im Landkreis Mittelsachsen etwa bescheinigt das Gesundheitsamt Betroffenen pauschal, dass sie im medizinischen Bereich unverzichtbar sind. Bußgeldverfahren oder Betretungsverbote sind dort kein Thema. Illegal ist dieses Prozedere nicht, es liegt im Ermessensspielraum der Behörde.
"Die einrichtungsbezogene Impfpflicht hätte nur ein Einstieg in eine allgemeine Impfpflicht sein können", sagt Erik Bodendieck, Vorsitzender der Sächsischen Landesärztekammer. "Dass eine hohe Durchimpfungsrate beim medizinischen Personal hilfreich ist, steht außer Frage. Doch das Gesetz ist so verkorkst, dass es gar nicht umgesetzt werden kann." Die Sächsische Landesärztekammer hat kein offizielles Statement veröffentlicht wie die Thüringer, doch man sehe die Probleme wie die Kollegen, sagt Bodendieck. Er beobachtet, dass Kommunen mit den Regelungen der Impfpflicht und dem Aufwand bei der Bearbeitung überfordert seien: "Die Verantwortung wird auf Ebenen geschoben, die sie nicht wahrnehmen können, weil sie keine ausreichenden Instrumente haben."
Das Gesetz über die branchenbezogene Impfpflicht gilt erst mal bis Ende 2022. Eine Verfassungsbeschwerde dagegen scheiterte. Bodendieck rechnet nicht damit, dass es im Laufe dieses Jahres noch gekippt wird. "Man wird die Probleme aussitzen", sagt er. Möglicherweise wird im Herbst über eine Fortsetzung der Impfpflicht diskutiert. Momentan halte er eine Verlängerung angesichts der problematischen Erfahrungen aber für unwahrscheinlich.
Pflegefachkraft Dana Hocker hofft, dass das Gesetz in ein paar Monaten ausläuft. Sie nimmt Corona ernst. "Wir schützen unsere Patienten, gehen mit Masken zu Hausbesuchen, testen uns regelmäßig", sagt sie. "Aber man merkt hoffentlich in der Politik, dass die Impfpflicht in der Pflege nicht umsetzbar ist."
Problem bei Neueinstellungen
Auch ihr Chef Torsten Bognitz schlägt sich seit Monaten mit dem Gesetz herum. Der Geschäftsführer des Caritasverbands Oberlausitz ist "überzeugter Impfbefürworter", wie er sagt. Eine allgemeine Impfpflicht würde er begrüßen. Doch was gerade gilt, macht ihn wütend. Das Gesetz hält Bognitz für "schlecht gemacht, unsinnig und ungerecht". "Eine schwache Berufsgruppe wie die Pflege, die ohnehin die größte Last in der Pandemie zu tragen hat, bekommt zusätzlich Ärger und muss eine Einschränkung ihrer Berufsfreiheit hinnehmen." Er kann seinen Mitarbeitern nicht erklären, warum sie geimpft sein müssen, die Pflicht aber nicht für Patienten und Heimbesucher gilt, die auch ein Ansteckungsrisiko sein könnten.
Zum Caritasverband Oberlausitz gehören ein Heim und mehrere Sozialstationen für häusliche Pflege mit insgesamt über 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Pflegerin Dana Hocker ist keine Ausnahme. Die Quote der ungeimpften Mitarbeiter liegt pro Haus zwischen 40 und 25 Prozent. Auf sie verzichten kann und will Torsten Bognitz nicht. Das wäre ein unvorstellbares Szenario für ihn. "Dann könnten wir unsere Patienten nicht mehr versorgen", sagt er. "Wir haben jetzt schon Probleme, weil der Personalmangel in der Branche ein Dauerproblem ist."
Der Caritas-Chef hat sich an die Vorschriften gehalten und ungeimpfte Mitarbeiter ans Gesundheitsamt gemeldet. Eine Rückmeldung habe auch er vom Amt bis heute nicht bekommen. Das ärgert ihn. "Die Behörde will etwas, man erfüllt die Pflicht, aber da kommt nichts zurück." Bisher gab es keine Sanktionen gegen ungeimpfte Mitarbeiter, aber Bognitz weiß nicht, ob das so bleibt.
Und er hat schon wieder ein neues Problem. Er sucht ständig Personal. Gerade hat er eine Bewerbung von einer ungeimpften Pflegehelferin bekommen. Aber es sieht nicht so aus, als ob er sie einstellen kann. Das Bautzner Gesundheitsamt, das für ihn zuständig ist, habe das bisher abgelehnt - wegen der fehlenden Impfung. Auf Nachfrage heißt es vom Landratsamt, dass ungeimpftes Personal weiterarbeiten könne, solange in einer Einrichtung kein Beschäftigungsverbot vorliege. Bei Neueinstellungen müsse aber ein Impfnachweis vorliegen.
Nachvollziehen kann Torsten Bognitz dieses Durcheinander nicht. "Solche Regelungen sind vollkommen unlogisch", sagt er. "Wer soll das denn noch verstehen?"